Lindau, 26. Juni 2017 –Karin Friedrich ist in Lindau aufgewachsen und hat hier das Friseurhandwerk gelernt. Im Interview sagt Karin, was sie danach gemacht hat.
Dr. phil. Karin Friedrich ist Gründerin und Mitinhaberin der Akademie für KomplementärTherapie; sie unterrichtet und behandelt seit 1987. Karin ist Ethnologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Kinesiologin.
Karin, du bist in Lindau aufgewachsen, wie ist es wieder hier zu sein?
Wunderbar. Die Menschen, die Landschaft, heute passt mir das alles.
Heute?
Ja, damals als Siebzehnjährige fand ich Lindau und die ganze Umgebung ziemlich spiessig. Nach meiner Friseurlehre habe ich hier nur noch ein Jahr gearbeitet und dann beschlossen, die Mittlere Reife zu machen. Dazu musste ich nach Ravensburg umziehen. Dort habe ich liebe Menschen kennengelernt und zusammen sind wir nach Berlin aufgebrochen – mein damaliger Freund wollte nicht zum Wehrdienst und die Berliner waren ja vom Wehrdienst befreit.
Die Mittlere Reife nach der Lehre war ja nur der Anfang. Es folgten Abitur, Studium der Landwirtschaft, dann Studium der Ethnologie, Soziologie und Religionswissenschaften, dann die Dissertation, dann noch die Meisterprüfung im Friseurhandwerk, das hört sich ziemlich rastlos an?
Für mich war das ein kontinuierlicher und logischer Prozess. In Berlin habe ich wieder als Friseurin gearbeitet und bin zufällig auf einen Flyer gestossen, in dem eine sich neu gründende, selbstverwaltende Schule zur Vorbereitung auf das externe Abitur beschrieben war. Das war die Schule für Erwachsenenbildung e.V., die es heute noch gibt. Ich meldete mich an und innerhalb kurzer Zeit waren wir 750 Schüler. Neben der Schule habe ich weiter gearbeitet und dann das Abitur geschafft.
Und die Landwirtschaft?
Nun, ich wollte mehr lernen, um mich für bessere und gerechtere gesellschaftliche Verhältnisse einsetzen zu können. Dafür schien mir die Landwirtschaft ideal. Während des Studiums und einigen späteren Erfahrungen mit der Entwicklungshilfe in Afrika bin ich aber davon abgekommen und habe mich der Ethnologie zugewandt. Vor dem Ethnologie-Studium habe ich noch die Meisterprüfung abgelegt, um selbständig tätig sein zu können. Da habe ich dann ältere und behinderte Menschen in ihren Wohnungen und Heimen frisiert. In dieser Zeit habe ich auch die Kinesiologie kennengelernt.
Mit Touch for Health?
Ja, das ging so: Zwei meiner Freunde, mit denen ich damals nach Berlin übersiedelt bin, haben die Kinesiologie in England entdeckt und sind dann in die USA, um sie zu lernen. 1982 gaben sie ihren ersten Touch-for-Health-Kurs in Freiburg und haben dazu alle ihre Freunde eingeladen.
Du hast da einfach so mitgemacht?
Ja, mich hat interessiert, was meine Freunde da machen. Und dann hat mich das sofort gepackt, ich habe weitere Kurse besucht und habe das, was ich gelernt hatte, in meine Friseurtätigkeit integriert: Verträglichkeitstests von Haarpflegepräparaten, Übungen zur Verbesserung des Hörens, das hatte übrigens einen grossen Nutzen für mich: Ich war nach einem Arbeitstag im Altersheim weniger heiser. Auch manche meiner Studentinnen an der Uni bekamen von mir, natürlich kostenfrei, kinesiologische Sitzungen zu den Themen Angst vor Referaten, Schreibblockaden, Lernblockaden, Liebeskummer usw.
An der Uni hast du ja sogar noch promoviert. Worüber hast du deine Dissertation geschrieben?
Über „Haare und Zeremonienmeister. Eine ethnologische Studie zum deutschen Friseurhandwerk“. Mein Anliegen war darzustellen, dass wir genauso Übergangsrituale haben wie die bisher untersuchten sogenannten „primitiven“ Kulturen, nach dem Motto: Wir sind genauso Primitive wie andere auch.
Stichwort Übergang. Gibt es auch einen zwischen deinem Sein an der Universität und deinem Sein im Handwerk?
Während meines Studiums und auch noch lange danach habe ich immer auch als Friseurin gearbeitet. Als ich an der Universität Göttingen zum Thema Ritualtheorie unterrichtet habe, habe ich meine Friseurtätigkeit vor meinen Studenten in der Regel geheim gehalten, umgekehrt auch meinen Friseurkunden meine Unterrichtstätigkeit an der Uni. Das hat mir meine Kompetenz in den beiden Bereichen nach aussen hin bewahrt.
Und zwischen dem «normalen» Berufsleben und der Arbeit als Kinesiologin, gibt es da einen Übergang? Was sind da deine Erfahrungen?
Wenige kündigen ihren Beruf, um mit Kinesiologie anzufangen. Vielmehr ist es ein Hereinwachsen. Bei mir war es der Zufall, dass meine Freunde mich dazu eingeladen haben und dass es mich interessierte, was genau sie da machen. So war ich am Touch-for-Health-Kurs und fasziniert. Und dann kam irgendwann der nächste Kurs, etwas später wieder der nächste. Das lief schrittweise, und so geht es den meisten. Sie fangen mal an, aus einer Neugierde heraus, und dann merken sie, dass sie da etwas sehr Wertvolles lernen. Etwas, das ihr Leben besser macht und mit dem sie auch das Leben anderer Menschen besser machen können. Auch an unserer Akademie läuft das für viele so. Eigentlich müsste man vor Touch for Health warnen: Achtung, es führt dich langsam, aber sicher in ein Leben voller Selbstbestimmung.
Du scheinst mir aber damals schon, als du deine Lehre gemacht hattest und weitergezogen bist, schon sehr selbstbestimmt gewesen zu sein.
Ja, schon. Du musst aber auch wissen, dass es mir zeitweise gar nicht gut ging. Ich habe sehr oft an meinen Fähigkeiten gezweifelt und litt Anfang zwanzig unter Depressionen, in den Dreissigern auch unter Angststörungen.
Und trotzdem hast du weitergemacht.
Ich hatte das Glück, auf meinem ganzen Lebensweg bis heute Menschen zu begegnen, die mir wohlgesonnen sind und mich unterstützen. Meine Freunde haben mir wirklich sehr geholfen. Dazu kommt meine Beharrlichkeit, einfach das zu machen, was ich will.
Zum Abschluss: Gibt es einen Tipp, den du deinem 20-jährigen Ich geben würdest?
Mache einfach das, was du richtig findest. Sei gewiss: Was immer du dir wünscht, es ist machbar und du erreichst es auch.
Danke, Karin.